Warum Veränderungen so schwer fallen

von: Frank Weber
www.weber-advisory.com

Veränderungen sind allgegenwärtig aber wir Menschen mögen kein Change Management. Er ist weit bekannt, der vielzitierte Spruch, nachdem die einzige Konstante im Universum die Veränderung ist. Diese Erkenntnis stammt vom griechischen Philosophen Heraklit von Ephesus und ist damit bereits runde 2.500 Jahre alt. Eigentlich müssten wir Menschen es doch in dieser Zeitspanne geschafft haben, zielführend und erfolgreich mit Veränderungen umzugehen. Gleichwohl scheitern, je nach Umfrage, zwischen zweidrittel und dreiviertel aller Change Projekte und von den verbleibenden erfüllen auch wieder runde 80 Prozent in den ersten drei Jahren nicht die geplanten Ziele. Der Umgang mit Veränderungen ist damit trotz „antiker“ Erkenntnis keine wirkliche Erfolgsgeschichte.


Grundsätzlich enthält der Begriff Veränderung keine positive oder negative Bewertung. Gleichwohl findet im Alltag oft eine sprachlich-psychologische Bewertung statt und die ist in den meisten Fällen eher mit einer negativen Konnotation versehen. Woran liegt das? Im beruflichen und auch im privaten Umfeld stoßen wir laufend auf Veränderungen, selten aber direkt von uns initiiert und in der Regel treten sie überraschend ein. Das prägt deren Bewertung durch uns. Veränderungen stören das von uns so geschätzte Gleichgewicht, sie bringen Turbulenzen mit sich. Sie zwingen uns, den bisherigen Weg zu überdenken und neu zu justieren. Unabhängig davon, ob man den Wandel positiv oder negativ bewertet, zunächst hängt man erst einmal in der Luft und weiß ad-hoc nicht, wie es weitergehen wird, wie lange dieser Schwebezustand anhält und ob es nicht sogar in eine ungewünschte Richtung geht. Wer in dieser Situation Unsicherheit verspürt oder gar Zweifel an der eigenen Wirksamkeit hat, wer glaubt die Kontrolle zu verlieren, wird sich tendenziell eher an das scheinbar Bewährte und Vertraute klammern und den Wandel als ängstigend ablehnen.


Change ist Stress
Immer dann, wenn wir mit einer Veränderungssituation konfrontiert werden, bewerten wir diese nach dem Muster der Reflektorischen Bedrohlichkeitsprüfung. Im Mittelpunkt stehen die beiden „Fragen“ ob die Situation bedrohlich und auch beherrschbar ist. Je nach Ausgang der Prüfung stellen sich Angst, Reaktanz oder auch Neugierde sowie abwägender Umgang mit dem Wandel ein. Dieses Modell beschreibt die Arbeitsweise der Amygdala, einem kleinen mandelförmigen Gebilde in unserem Vorderhirn, welche die Aktivitäten unserer drei Gehirne koordiniert.

Tief im Inneren des Gehirns am Hirnstamm findet sich das urtümliche Reptiliengehirn. Es enthält eine Reihe von uralten Verhaltensprogrammen, die z.B. Schlangen veranlassen, sich auf eine in unseren Augen rigide, instinktgebundene Weise zu verhalten. Dieser Teil des Gehirns ist seit 200 Millionen von Jahren nahezu unverändert. Entsprechend folgen die hier initiierten Verhaltensprogramme "Erinnerungen aus alter Zeit", die nicht durch neu gewonnene Erfahrungen verändert werden. Das Reptilienhirn lernt nicht. Oberhalb dieses Reptiliengehirns liegt das alte Säugetierhirn. Dieses limbische System teilt der Mensch mit Katzen, Ratten und Kaninchen. Hier werden überlebenswichtige Aktivitäten wie Nahrungsaufnahme, Atmung, Sexualverhalten aber auch Kampf- und Fluchtreaktionen gesteuert. Um diese beiden eher primitiven Teile des Gehirns hat sich das neue Gehirn der Säugetiere gewickelt. Dieser Cortex ist die Heimat von abstraktem Denken, Kreativität und Erfindung. Hier wird unser menschlicher Geist gelenkt.

Die neurologische Funktion der Amygdala nun lässt sich am besten als Schalter bezeichnen, der entweder die reptilische "Flucht oder Kampf"-Reaktion hervorruft oder die Frontallappen des Cortex aktiviert und somit Abwägen und intuitive Intelligenz. Alle Informationen der Sinnesorgane bahnen sich in Millisekunden ihren Weg zur Amygdala. Indem diese bei als bedrohlich und unbeherrschbar empfundenen Situationen blitzartig die direkte Verbindung zum Cortex unterbindet, kann der Organismus bereits reagieren, bevor er realisiert hat WAS überhaupt los ist. Somit läuft ein evolutionserprobtes Notfallprogramm, welches von unserem Reptilienhirn aus gesteuert wird. In diesem Moment sind unser Instinkt der Vernunft und unsere Emotion dem bewussten Denken überlegen. Biologisch spricht man in diesen Situationen von Stress.

Menschen verfügen zur Bewältigung ihres Lebens über unterschiedliche Ressourcen, die sich im Gleichgewicht befinden sollten:

  1. Psychische und persönliche Ressourcen wie Empathie, soziale Einstellungen oder das Gefühl der Selbstwirksamkeit.
  2. Objektbezogene Ressourcen wie Besitz und Statussymbole
  3. Kulturelle Ressourcen wie Familienstand, Arbeitsplatzsicherheit, Beteiligung an Entscheidungsprozessen oder Autonomie
  4. Energieressourcen wie Wissen, Zeit, Geld oder Gesundheit

Wird dieses Gleichgewicht gestört, wir also Ressourcenverlust oder -veränderung erkennen, können wir Stress erleben. Stress ist insofern als Warnsystem für Ressourcenverlust zu verstehen.

Veränderungen in Organisationen bewirken genau das, eine Störung des von uns empfundenen Gleichgewichts unserer Ressourcen: Wird der Arbeitsplatz und damit das Einkommen noch sicher sein? Wie werden sich die Rahmenbedingungen der Arbeit verändern? Werden Entscheidungsspielräume, Autonomie und Gestaltungsfreiräume eingeschränkt? Oder einfacher: Bleiben Dienstwagen und das schöne große Büro bestehen? So ist erklärbar, warum wir gelegentlich hoch errötet mit hitzigem Gemüt ohne scheinbar nachzudenken auf sich einstellende Veränderungen reagieren – Veränderungen lösen Stress aus, nicht nur umgangssprachlich.


Trennung, die "hässliche" Seite der Veränderung
Nach dieser ersten Schockphase führen Veränderungen dazu, dass sich Menschen auf ein oftmals ungewisses Neues einlassen und damit Abschied nehmen müssen. Abschied zu nehmen, löst bei vielen Menschen (starke) Emotionen aus. Vertrautes loszulassen macht uns Angst und erfüllt uns  mit Unsicherheit oder bisweilen gar mit dem Gefühl von Verlassenheit. Gesellschaftlich gehört die Trennung zu den wenigen noch existierenden Tabuthemen. Egal ob Scheidung oder berufliche Trennung –  wer sich trennt, hat verloren. Eine Vorprägung dieser Art macht es nicht einfach im beruflichen und auch im privaten Kontext offen und neutral mit Veränderungen umzugehen. Da darf es nicht wundern, dass betriebliche Veränderungsprojekte (zunächst) nicht mit offenen Armen empfangen werden und so möglicherweise die Saat für deren Scheitern gelegt wird. Ernsthaft verändern bedeutet Abschied zu nehmen sowie Trennungen als sinnvoll zu akzeptieren und beides ist nicht einfach.


Warum anders? Wir sind doch so gut!
Erschwerend hinzu kommt der betriebliche „das haben wir immer so gemacht Effekt“. Nach dem indisch-amerikanischen Prof. C.K. Prahalad findet sich dieses Verhalten vor allem in erfolgreichen Unternehmen. Dort fällt es besonders schwer zu erkennen, wann sich eine Organisation verändern muss. Der Grund könnte nach Prahalad darin liegen, dass diese Unternehmen mit der Zeit bestimmte Erfolgsideologien entwickelt haben. Oftmals nicht niedergeschriebene Doktrinen, die zudem Bestandteil der betrieblichen DNA wurden und nach denen jeder Mitarbeiter weiß: Das ist die Art und Weise, wie wir hier die Dinge tun. So gibt es ein breit geteiltes Verständnis darüber, wie sich das eigene Unternehmen im Wettbewerb behauptet, wie Leistungen gemessen, die Organisation gestaltet und welche Mitarbeiter gefördert werden. Die Gefahr liegt darin, dass sich diese (bisherigen) Erfolgsfaktoren in scheinbar unumstößliche Wahrheiten verwandeln, die dann von niemanden mehr hinterfragt werden. Dabei wäre es angesichts des fortschreitenden Wandels auf der Welt eher angebracht, Chancen und Risiken nicht aus der gewohnten Perspektive zu betrachten.


Erfolgreicher Wandel – Vorbild Natur
Bewahren kann daher schädlich sein. Ausgehend vom Top-Management sollten sich Führungskräfte in Unternehmen und Organisationen auch um eine Kultur des bewussten Vergessens bemühen. Warum also nicht einmal vom erfolgreichsten Unternehmen überhaupt lernen? Die Natur zeigt uns seit 3,7 Milliarden Jahren sehr erfolgreich, wie man unter erschwerten Rahmenbedingungen überlebt. Grob gesprochen kennt sie dabei zwei Prinzipien:

  1. Ändere, was sich nicht bewährt hat oder nicht mehr bewährt
  2. Behalte Bewährtes bei

Die Entstehung neuer Arten und ihr Aussterben ist das Prinzip der Evolution. Weniger gut an die Umwelt angepasste Arten werden verdrängt und ersetzt. Auf der anderen Seite probiert die Natur auch vieles aus. Doch wenn sich Organismen, Strukturen oder Zusammensetzungen bewähren, werden sie kontinuierlich reproduziert bzw. weitervererbt.


Trennungskompetenz statt Trennungsangst
Es gilt, genau dieses Erfolgsmodell des Abwägens von bewährt oder nicht (mehr) bewährt in den Unternehmen zu kultivieren und eine, wie Prof. F. Malik es nennt, systematische Müllabfuhr zu etablieren. Es sollte zu den bewusst vom Top-Management gewünschten Aufgaben von Führungskräften gehören, herauszufinden, welche Regeln, betrieblichen Übungen, Verhaltensweisen und Vorstellungen nicht mehr länger funktionieren oder unter Umständen sogar schaden; und sie müssen Wege finden, diese zu ersetzen. Beide, Lern- aber auch Vergessenskurve sind gleichermaßen wichtig für die Schaffung veränderungsbereiter und –fähiger Unternehmen. In diesen tritt die Trennungskompetenz an die Stelle der Trennungsangst. Trennungskompetente Menschen spüren, wann es Zeit zum Weglassen oder Aufhören ist. Sie erkennen den Zeitpunkt für Veränderungen. Sie können nein sagen, sich lösen oder auch abgrenzen. Sie haben die Fähigkeit etwas zu beenden, wenn die Bilanz nicht mehr stimmt oder ein Vorhaben, ein Geschäft keinen Erfolg mehr bringt. Trennungskompetente Menschen können aber auch ja zu etwas Neuem sagen und sich auf dieses intensiv einlassen. Sie sind neugierig und unterstützen Veränderungsprojekte. Sie erkennen sich wieder in dem Motto von Hermann Hesse „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Trennungskompetente Menschen sind aber keine Hasardeure. Sie kennen durchaus das Zögern vor den Anstrengungen des Loslösens, die damit verbundene Unsicherheit und auch die Disziplin, die dieser Prozess erfordert. Sie verfügen aber über die Bereitschaft sich darauf einzulassen und haben gelernt mit Unsicherheit und Trennungsschmerz umzugehen. Sie sind zudem in der Lage Zukunftsvisionen zu erkennen und aus ihnen die Energie zu ziehen, die für die Bewältigung von Durststrecken nötig ist.  

Es sind nicht unbedingt die Veränderungen selbst, die uns Menschen ängstigen. Was Angst bereitet, ist die Einstellung dem Neuen gegenüber aber auch die Art und Weise wie uns das Neue begegnet – im betrieblichen Kontext also, wie Veränderungen „eingeführt“ werden. So gesehen sollte es daher nicht um das Management von Veränderungen, also um Change Management gehen. Wesentlicher erscheinen Fragen der Führung. Passender wäre daher eher der Begriff Change Leadership.


Folgebeitrag: http://www.hrnetworx.info/hr-blog/item/143-change-management-und-der-ritt-auf-der-welle

 

Der Autor:
Frank Weber ist unter der Marke weber.advisory selbstständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Führung, Kommunikation und Wandel sowie Coach für Führungskräfte und ausgebildeter Mediator. Als Lehrbeauftragter an der Fresenius Hochschule unterrichtet er die Themen Change Management und Corporate Identity.

 

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