Den digitalen Argumenten vertrauen (von Christin Kuhnert, HR-Managerin, OPTIMAL SYSTEMS GmbH)

Die Softwarebranche ist tonangebend in puncto Arbeitskultur. Vor allem, wenn es um Neuerungen geht, die gerne unter dem Label laid back/new work subsummiert werden, blickt man auf die Trends aus der Bay Area bzw. auf die deutschen Unternehmen, die auch gerne dort wären. Das gilt nicht nur für den Dresscode (aber auch für den); da man in Softwarefirmen naturgemäß aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien ist, setzen sich hier auch die Trends im Geschäftsbereich Human Resources schneller durch. Die anderen Branchen können dann sehen, wie sie hinterherkommen – bzw. müssen einsehen, dass sie manchmal nicht hinterherkommen.


Auch in den 2010er Jahren konnten Jobeinsteiger oder -umsteiger noch manchmal folgenden Satz lesen: „Bewerbungen in elektronischer Form werden nicht berücksichtigt.“ An dieser Stelle konnte man nun taktisch überlegen:

A) Bewerbe ich mich überhaupt, wenn ich dazu eine Briefmarke kaufen muss? Habe ich überhaupt Briefumschläge da? Was kostet ein Brief eigentlich – noch immer 80 Cents wie beim letzten Mal?

B) Wenn keine E-Mail-Bewerbung erlaubt ist, bekommen die bestimmt ganz wenige Zuschriften – erhöht das nicht ungemein die Chancen für mich?

Andererseits C) Will ich in so einem Laden wirklich arbeiten?


Wenn man sich dann bewarb und es nicht klappte, bekam man die Unterlagen sogar zurückgeschickt. „Zu unserer Entlastung“, wie es im Begleitschreiben hieß. Das Netz ist voll von Anekdoten, in denen auch mal PDF-Dokumente ausgedruckt und dann „zu unserer Entlastung“ zurückgeschickt wurden. Analog-digitales Chaos, über 30 Jahre nach der ersten deutschen EMail.

Es geht um Entlastung

So sieht es also auf den hinteren Reihen aus. Und an der Front? Konzerne nutzen seit längerem Portale mit systematischer, digitaler Personalerfassung. Das müssen sie auch – wie sollten sie 1.000 Bewerbungen am Tag auch sonst verarbeiten? Der Mittelstand zieht mittlerweile nach. Mein eigenes Unternehmen – eine 30 Jahre junge Berliner Softwareschmiede – bietet nicht nur eine digitale Personallösung an, sondern nutzt sie auch selbst: Jeder Vorgang im Recruiting löst einen Workflow aus, Unterlagen im klassischen Sinne sind überflüssig geworden.


Der Effekt ist ein doppelter: Im konkreten Arbeitsakt sorgt es natürlich für geringeren Aufwand und weniger Kosten. Gleichzeitig signalisieren wir damit auch, was wir bieten. Und hier sind wir wieder bei der Arbeitskultur. Bei aller Innovation gilt aber auch hier: Es braucht Zeit. Die Ideen der New Work Philosophie stammen ja auch aus den 80ern, werden aber heute unter neuen Vorzeichen wahrgenommen. Es ist also weniger geboten, auf ein bestimmtes Tempo zu beharren; wichtiger ist es, den digitalen Argumenten zu vertrauen. Bei der Überzeugungsarbeit in der Softwarebranche hilft es natürlich, wenn man die Lösung, die man herstellt, auch selbst benutzt. So wie wir es tun. „Zu unserer Entlastung“ sparen wir uns dann das Zurücksenden.

 

Ein Artikel von Christin Kuhnert, Human Resources Managerin OPTIMAL SYSTEMS GmbH

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