Was ist die relevante Wirklichkeit?

Der Weg zu einer Innovation ist ein Erkenntnisprozess. Eine Innovation zu schaffen, bedeutet, neues Wissen zu erlangen, das in dieser Form bisher noch nicht zur Verfügung stand. Daher ist es für innovative Unternehmen – bzw. für diejenigen, die es werden wollen – wichtig, ein grundlegendes Verständnis für die Welt des Wissens aufzubauen. Der im Folgenden beschriebene dreidimensionale Raum hilft dabei.

 

Mit dem Wissen ist es ähnlich wie mit der Energie. Alle sprechen von deren Erzeugung oder Vernichtung, doch eigentlich steckt dahinter nur eine Umwandlung von einer Form in eine andere. Von der gesamten, für ein Innovationsvorhaben relevanten Wirklichkeit ist zunächst wie bei einem Eisberg nur ein kleiner Teil sichtbar. Mit diesem Teil ist das bewusste, explizite Wissen gemeint. Der ganze riesige Rest der übrigen relevanten Wirklichkeit existiert als implizites Wissen, unbewusstes Wissen und als Nichtwissen. Bildlich gesprochen versucht man beim Innovieren, möglichst viel dieses Eisberges auftauchen zu lassen. Denn für die Herstellung eines Produktes kann nur das verwendet werden, das über der Wasserlinie liegt. Alles, was unter der Wasserlinie liegt, ist jedoch eine Ressource dafür

Die gesamte Wirklichkeit lässt sich demnach durch drei Dimensionen aufspannen. Die eine Dimension ist die des impliziten und expliziten Wissens. Explizit ist jenes Wissen, das bereits kommuniziert oder zumindest dokumentiert wurde. In einem Innovationsprojekt ist es das Ziel, möglichst viel des relevanten Wissens explizit zu machen. Implizites Wissen hingegen steckt in den Köpfen von Menschen. Es kann manchmal durch Kommunikation explizit gemacht werden. Ein Großteil des Wissens wird jedoch stets implizit bleiben.

Eine weitere Dimension ist die des Bewussten und Unbewussten. Bei manchem Wissen ist uns durchaus bewusst, dass es existiert, doch genauso gibt es Wissen, dessen Existenz uns eben nicht bewusst ist. Dieses Wissen kann durch Zufall bewusst werden. Solche Zufälle lassen sich auch provozieren.

Nun gibt es noch die Dimension des Wissens und Nichtwissens. Zu jedem Wissen existiert auch eine unendliche Menge an Nichtwissen, das durch eine entsprechende Arbeit möglicherweise in Wissen umgewandelt werden kann und dessen Bedeutung meist völlig unterschätzt wird.

 

Dazu können nun unterschiedliche Fälle betrachtet werden.

  • Das bewusste, explizite Nichtwissen: Wir wissen also, welches Wissen uns fehlt, können dies auch benennen und durch eine gezielte Recherche zum entsprechenden Wissen machen. Wenn Sie in einer fremden Stadt den Weg zu einem Restaurant suchen, dann ist Ihnen bewusst, dass Sie ihn nicht wissen, und Sie können explizit danach fragen oder Ihr Smartphone konsultieren.

  • Das bewusste, implizite Nichtwissen: Kennen Sie diese Situation, in der Ihnen durchaus bewusst ist, dass Ihnen relevantes Wissen fehlt, Sie aber nicht benennen können, welches? Die Situation verunsichert, Sie müssen sich auf Überraschungen einstellen.

  • Das unbewusste, explizite Nichtwissen: Es ist eine Wissenslücke, die möglicherweise schon dokumentiert ist, Ihnen jedoch nicht bewusst ist. Die Wissenslücke ist vielleicht schon offensichtlich, doch Sie erkennen sie nicht und kommen auch nicht auf die Idee, danach zu fragen. Columbus kam beispielsweise nicht auf die Idee, dass es im Westen noch einen weiteren Kontinent geben könnte, obwohl er für die dortigen Einwohner offensichtlich war.

  • Das unbewusste, implizite Nichtwissen: Dies ist eine Wissenslücke, die Ihnen nicht bewusst ist, und selbst wenn Sie Ihnen bewusst wäre, würden Sie vielleicht keine Worte dafür finden. Sie können sich darauf in keiner Weise einstellen. Da es Ihnen nicht bewusst ist, belastet es jedoch auch nicht. Es kann allerdings durch irgendwelche Ereignisse jederzeit zum bewussten, impliziten Nichtwissen werden und damit die Verunsicherung im Vorhaben plötzlich erhöhen.

 

 

Um Innovationen zu fördern oder gar eine Innovationskultur zu etablieren, müssen Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, die das relevante Wissen optimal erschließen helfen. Oder anders gesagt, den Eisberg auftauchen lassen. Dies kann vor allem auch dadurch geschehen, dass die Mitarbeiter mit dem richtigen unbewussten und/oder impliziten Wissen in der Umwandlung des relevanten Nichtwissens in Wissen unterstützt werden – durch Anwendung der richtigen Instrumente und Methoden. Welche Möglichkeiten der Arbeit an der Erkenntnisgewinnung vorhanden sind und wie diese genutzt werden können, habe ich im meinem Buch INNERINNOVATION zusammengefasst. Lassen Sie sich überraschen, was Sie dabei entdecken. Anders als beim echten Eisberg ist die relevante Wirklichkeit „unter Wasser“ sehr bunt und unendlich ausdehnt.

 

Ergänzender Artikel: Der Kreativraum von Bernd Buck

 

Über den Autor:

Bernd Buck, diplomierter Physiker, hat in Konstanz Physik studiert und war anschließend als Entwickler, Entwicklungsleiter und Technischer Geschäftsführer bei ifm electronic gmbh tätig. Er ist als systemischer Organisationsberater mit Schwerpunkt Innovationsprozesse und Innovationskultur im Rahmen der Beratungsfirma TeamThink tätig.

 

INNERINNOVATION – INNOVATIONEN AUS EIGENEM ANBAU

Das Kreativhandbuch für systemisches Innovationsmanagement

Bernd Buck, Ulrike Buck

1. Aufl. 2014, 160 Seite, leinen, farbig

ISBN 978-3-902155-20-7

Leseprobe

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